Bericht von Familie Zinser über ihre Lettlandreise
11.09. - 13.09.2011

zum Grab von Josef Zinser

Vorwort:

Seit jeher hat mich das Kriegsgräberdenkmal der kleinen oberschwäbischen Gemeinde Orsenhausen interessiert. Dort sind drei Großonkel von mir unter den Gefallenen des Zweiten Weltkriegs aufgeführt, wobei zwei davon als "vermisst" gelten. Auch der Verbleib des dritten, Josef Zinser, war der Familie über Jahrzehnte hinweg nicht bekannt. Als Kind und eigentlich bis heute ist der Begriff "vermisst" für mich nur schwer greifbar. - Als ich im Jahre 2009 eine Werbung des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge las, in der die Möglichkeit der Online-Gräbersuche beschrieben wurde, nutzte ich sofort diese Gelegenheit: Und nach einigen Mausklicks und Eingaben lieferte die Suchfunktion Informationen, die der Familie über Jahrzehnte hinweg nicht bekannt waren: Vor allem die Tatsache, dass Josef Zinser ein Grab auf dem Soldatenfriedhof in Saldus/Lettland hat. Es folgten Monate der Recherche und Aufarbeitung.




Schon früh stellte sich für meinen Vater und mich die Frage, ob wir mit diesen Informationen die noch lebende 89-jährige Schwester (Rufname "Cilli") von Josef behelligen oder gar belasten sollten. Letztendlich haben wir uns dazu entschieden und haben es im Nachhinein nicht bereut: Für Cilli war es das Ende der fehlenden Klarheit und der Ungewissheit, die Sie nicht zur Ruhe kommen ließen. Und als wir über den Volksbund im Herbst 2010 einen Kranz am Grab niederlegen lassen konnten, freute sie sich richtig über das zurückgeschickte Foto des Kranzes am Grab ihres Bruders.
Immer wieder äußerte sich Cilli, dass sie in jüngeren Jahren so gerne das Grab besucht hätte, wenn sie es nur gewusst hätte. Letztendlich wurde der Wunsch immer stärker und wir versprachen Ihr, die Reise vorzubereiten. Und so begann am 11.09.2011 eine hochinteressante und wunderschöne Kurzreise nach Riga und Saldus.


1. Tag

Der Hinflug von Frankfurt nach Riga war von uns im Vorfeld mit Spannung erwartet, da es für Cilli der erste Flug ihres Lebens sein sollte. Aber auch hier löste sich die ganze Spannung auf, da der Betreuungsdienst der Lufthansa uns die weite Strecke zum Gate mit einem Elektroauto fuhr und wir einen schönen Fensterplatz im Flugzeug bekamen.



Bei wunderschönem Wetter genoss Cilli den ruhigen Flug und als krönender Abschluss folgte ein herrlicher Anflug über Jurmala mit seinen langen Stränden.



Nach der Landung nahmen wir ein Taxi zum Hotel Konventa Seta, das direkt im Herzen der Altstadt liegt und dadurch ein hervorragender Ausgangspunkt für kleine Spaziergänge in der herrlichen Altstadt von Riga bietet.




2. Tag

Nach dem Frühstück machten wir uns mit einem Mietwagen auf den Weg nach Saldus. Schon im Vorfeld wurden wir vor den Straßenverhältnissen gewarnt. Aber die einspurige Autobahn A-9 Richtung Liepaja wird gerade teilweise neu asphaltiert und ist angenehm zu fahren.



Der Soldatenfriedhof in Saldus ist bereits in der Stadt ausgeschildert, so dass wir diesen zügig finden. Wir sind das einzige Auto, das dort auf dem Parkplatz steht - und die Spannung steigt erneut. Wie wird Tante Cilli reagieren, wenn sie 66 Jahre nach dem Tod Ihres Bruders zum ersten Mal am Grab stehen wird? Vom Eingang aus wird es in gewisser Weise ein kleiner "Kreuzweg", als wir in Richtung des großen Kreuzes laufen, um zum Grab im Block J zu gelangen. Mein Vater und ich können das Grab schon von weitem an dem frischen Blumenkranz erkennen, den wir im Vorfeld über den Volksbund bestellt haben.



Natürlich ist es eine sehr emotionale Situation, aber die erste Nervosität und kleine Tränen weichen sehr schnell einer gewissen Erleichterung. Mehrfach betont Tante Cilli, dass sie froh darüber ist, hier zu sein und dass wir nun alle wissen, wo ihr Bruder "Sepp" begraben ist. Die Würde, die dieser Friedhof ausstrahlt, und der gepflegte Zustand tragen sicher dazu bei. Allerdings handelt es sich bei diesem Grab nicht um das ursprüngliche Grab, das sich auf dem Ehrenfriedhof Frauenburg (Block 24, Reihe 2, Grab Nummer 1323) befand. Dieser musste einem neuen Haus weichen und die etwa 2000 Toten wurden auf den neuen Soldatenfriedhof umgebettet. So wurde auch Josef Zinser am 25.04.1994 vom Ehrenfriedhof in Saldus auf den neuen Soldatenfriedhof umgebettet, an dessen Grab wir nun stehen.



Was uns alle zutiefst berührt, sind die schier unzählbaren Kreuze. Und für jedes Kreuz stehen acht gefallene Soldaten. Neben den 22000 Toten ist unser Verwandter zumindest nicht alleine - diese Gewissheit können wir mit zurücknehmen.
Während des Friedhofbesuchs erwähnt Tante Cilli noch beiläufig, dass ein anderer junger Mann aus ihrem Heimatdorf Orsenhausen etwa zur gleichen Zeit im Kurland gefallen sei wie Josef. Dank der Grabverzeichnisse am Eingang lässt sich zügig herausfinden, wo er begraben ist. Und wie es der Zufall will, liegt er ebenfalls in Saldus und wir finden dessen Grab auch sehr schnell. Angeblich leben dessen Angehörigen noch und Cilli wird sie nach der Rückkehr informieren.
Dankbar, diesen Weg gewagt und unternommen zu haben, verlassen wir den Friedhof, um den Ort aufzusuchen, an dem Josef Zinser gefallen ist. Hier geht eine längere Recherche voraus, bei der uns Herr Molter tatkräftig unterstützte und uns die genaue Lage dieses Ortes aufzeigte. Es handelt sich hierbei um das kleine Forsthaus Aki, das wir nun mit Hilfe von alten Karten und Google Earth auffinden wollen. Es liegt etwa 8 km südlich vom Friedhof und wir müssen die Straße verlassen und auf einem sandigen Feldweg weiterfahren. Irgendwann endet auch dieser im Nichts und mein Vater und ich machen uns zu Fuß auf die Suche. Es geht über kleine Trampelpfade immer weiter in den verwilderten Wald, bis wir tatsächlich an der vermuteten Stelle auf abgerissene Grundmauern stoßen - zweifelsfrei die des ehemaligen Forsthauses.



Sofort klettern wir natürlich auf diese um einen besseren Überblick zu bekommen. Doch was wir dort trotz des Gestrüpps sehen, lässt uns den Atem erstarren. Zwischen alten Metallteilen sehen wir auch eine aufgerissene Hülse eines Artilleriegeschosses, deren genaue Herkunft wir allerdings nicht kennen. Aber angesichts der Verlassenheit dieses Ortes möchten wir nicht ausschließen, dass es sich um ein Geschoss aus dem Zweiten Weltkrieg handelt.



Hier in der Nähe muss Josef also gefallen sein. Erst kurz vor seinem Tod wurde er am 07.01.1945 zur 8. Kompanie des 335. Infanterie-Regiments ins Kurland versetzt. Dieses gehörte der 205. Infanteriedivision an, der sogenannten "Pilzdivision". Die 205. Infanteriedivision steht an diesem Frontabschnitt einer Übermacht russischer Truppen gegenüber, die versuchen, Frauenburg einzunehmen. In dem waldreichen und dünn besiedelten Gebiet südlich von Frauenburg tobte ein heftiger Stellungskampf. In einem Buch über den Kurlandkessel ("Todeskessel-Kurland", Franz Kurowski, Dörfler Verlag, 2000, S. 125f.) wird die Situation unter anderem so beschrieben: "Südlich von Frauenburg rang die 205. ID verbissen um jeden Meter Boden gegen die sechs anrennenden russischen Schützendivisionen" und "Vor Frauenburg wurde die 205. ID von drei feindlichen Panzerrudeln angegriffen und aus den Stellungen hinausgeschossen".
Vom 24.01. - 31.01.1945 findet die 4. von insgesamt 6 Kurlandschlachten statt, die ihren Schwerpunkt in diesem Bereich hat. Eines der Opfer des 27. Januar 1945 ist Josef Zinser. Er fällt nur vier Tage vor seinem 25. Geburtstag bei Aki, einem kleinen Forsthaus.
Schnell bekommen wir eine grobe Vorstellung, unter welchen Umständen hier gekämpft wurde: Die Wälder sind dicht bewachsen und hinter jedem Baum könnte der Feind gesessen haben. Diese geringe Sicht und die Unübersichtlichkeit im Gestrüpp muss für die Soldaten äußerst beängstigend gewesen sein. Auch ist das ganze Gelände sehr feucht, so dass wir schon nach kurzer Zeit mehrere Mückenstiche haben. Gerne hätten wir noch weitergestöbert, aber die Unwegsamkeit und die Mücken lassen uns doch schnell wieder den Rückweg antreten.



Mit diesen vielen Eindrücken fahren wir über Jurmala wieder zurück nach Riga.


3. Tag

Nach dem Frühstück besuchen wir noch einmal die St. Petri Kirche und fahren mit dem Fahrstuhl auf den Kirchturm. Die Aussicht ist sehr lohnenswert und gibt einen guten Eindruck von der Größe Rigas.
Gegen Mittag begeben wir uns wieder zum Flugplatz, um wieder nach Frankfurt zurückzufliegen. - Sicher wird unser Kurztrip den Möglichkeiten, die Riga und Lettland insgesamt bieten, nicht gerecht. Aufgrund des Alters und der reduzierten Mobilität von Tante Cilli war eben nicht mehr möglich. Aber wir haben unser Ziel erreicht, einmal am Grab von Josef Zinser zu stehen.
Auch wenn wir im Vorfeld sehr viele Bedenken hatten, so hat sich die Reise in jeder Hinsicht gelohnt. Die meisten Probleme lösten sich durch gute Vorbereitung und durch die Hilfsbereitschaft vieler Menschen auf.
Ich bin mir sicher, dass ich diese Reise noch einmal machen werde, spätestens wenn meine Kinder eines Tages im Geschichtsunterricht den Zweiten Weltkrieg durchnehmen - wohlgemerkt nicht um diesen zu verklären, sondern um ihnen einen wahren Eindruck von der Grausamkeit des Krieges zu ermöglichen und um über Josef Zinser einen persönlichen Bezug zu bekommen.

© B. Zinser, im September 2011


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