Wie jeden Morgen marschierte ich auch heute mit hochgezogenen Hosenbeinen und in Badeschuhen durchs nasse, halb hohe Gras in die Sauna hinter dem Wohnhaus, zur morgendlichen Dusche. Dieser Gang wirkte fast wie eine kleine Kneipp-Kur. Man wurde richtig wach dabei. Das Land war an diesem Tag noch in dichten Nebel gehüllt. Es deutete auf schönes Wetter hin. Kumas - heute Sturisi.
Dort lag die schwere Heeres-Panzerjäger-Abteilung 666 Anfang 1945. Von Kumas ist aber nichts mehr zu sehen. Dort steht heute nur noch einer dieser hässlichen Kolchose-Siedlungen aus der Sowjetzeit. Es ging direkt weiter nach Lestene, wo Guntis Lerche schon auf uns wartete. Er wollte uns heute ja einiges zeigen. Darüber hatten wir mit ihm am Abend zuvor gesprochen. Guntis wohnte früher in diesem ehemaligen Kampfgebiet, wo Großvater vermisst wird. Wir fuhren also los und kamen auf einem schmalen Weg an den Ruinen der Gehöfte Vamzi und Ermes vorbei, bis wir die Reste des Hofes Ciruli erreichten. Es war das Elternhaus von Guntis! Ein Jammer dieser Anblick - nur noch Ruinen. Ciruli - was noch davon übrig ist.
Der Weg führte uns bis zum Waldrand. Dann gingen wir zu Fuß weiter, mitten durchs Unterholz. Wir fanden nach einigen Metern die erste MG-Stellung. Auch total verrostete Munitionskästen lagen noch einfach so umher. Dann stießen wir auf den eigentlichen Graben, dessen Verlauf sehr gut zu erkennen war. Dieser ehemalige Schützengraben befand sich auf einer leichten Anhöhe und das davor liegende Gelände soll - im Gegensatz zu heute - nicht bewaldet gewesen sein. Wir folgten dem Graben, bis dieser an einem Bunker endete. Guntis zeigte uns Stellen, wo auf dem Grabenrand noch nach dem Krieg tote Russen lagen, die man an Ort und Stelle begraben hatte. Was sich hier wohl damals alles abgespielte? Man kann es nur erahnen... Die ehemaligen Schützengräben waren noch gut zu erkennen.
Ein ehemaliger Bunker. Davor liegt eine verrostete Munitionskiste.
Wir kamen ganz in der Nähe des Wagens wieder aus diesem dichten Waldstück heraus. Die anschließende Fahrt führte uns weiter nach Silgaili. Dieser Hof war noch bis vor kurzem bewohnt und steht nun aber auch leer. Von Silgaili aus wollten wir dann direkt zur A9, um noch einmal um das Waldstück herum, nach Paugibelas zu fahren. Der Weg wurde immer schlechter und in einer Kurve sah die Sache dann recht heikel aus - es wurde nun immer schlammiger. Karlis meinte, dass diese "lettische Landstraße" ja in der Landkarte eingezeichnet sei, also müsse man sie auch befahren können. Nach kurzer Begutachtung fuhr ich los. Die Kurve war kein Problem, aber auf dem nachfolgenden Wegstück wurde es kritisch. Ich wollte weiter nach links fahren, um besseren Halt zu bekommen, jedoch in den tiefen und matschigen Fahrspuren hatte ich keine Chance mehr, weil der Wagen wie auf Schienen lief - jeder Lenkversuch war zwecklos! Also Augen zu und durch und es kam wie es kommen musste: das Auto steckte fest. Karlis versuchte anschließend sein Glück. Er konnte den Wagen unter Vollgas ein paar Meter zurück fahren, um nochmals einen Anlauf zu wagen. Aber der Chrysler blieb erneut stecken. Nichts ging mehr. Ganz in der Nähe lagen einige Rundhölzer und Bretter umher, mit denen wir versuchen wollten die Vorderräder wieder frei zu bekommen. Mit den Rundhölzern bockten wir den Wagen vorne hoch, damit wir die Bretter unter die Räder schieben konnten. Dies gelang uns zwar, aber es genügte dennoch nicht das Auto wieder frei zu bekommen. Guntis lief unterdessen zur Hauptstraße, die nur 200 m vor uns hinter einer Biegung vorbei führte. Er hatte auch schnell Hilfe organisiert und mit vereinten Kräften und durchdrehenden Rädern schafften wir es, den Wagen wieder aus der misslichen Lage zu befreien. Da die Scheibenwaschanlage nicht funktionierte, musste eine Flasche Mineralwasser herhalten, um die Frontscheibe wieder einigermaßen vom Dreck zu säubern, damit ich überhaupt die Straße sehen konnte. So viel zu den Erfahrungen mit einer "lettischen Landstraße". Die Tücken einer "lettischen Landstraße".
Wir fuhren ein letztes Mal direkt nach Paugibelas. Der Blumenstrauß war noch da und das Grablicht völlig leergebrannt. Wir wollten unbedingt zum Ende unseres Aufenthaltes in Lettland ein letztes Mal hier vorbeischauen. Gerade heute, dem Todestag meiner Großmutter, der Ehefrau meines vermissten Großvaters. Sie ist auf den Tag genau vor 44 Jahren verstorben. Auch sie hatte ich leider nie kennen gelernt. |
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