Diese beiden Briefe schrieb Hauptmann Edgar Bothe an seine Familie:
28. Oktober 1944
Mein liebstes Bellychen!
Vor einigen Tagen schrieb ich Dir auf einer Karte, dass ich für den nächsten Tag die lang ersehnte Post erwarte und dann sofort ausführlich schreiben werde. Es kam, wie immer anders: Nicht nur dass keine Post kam, wurden wir wieder einmal (wie oft dies seit dem 18. Sept. der Fall war kann ich gar nicht mehr zählen) verlegt und ich bin wieder nicht zum Schreiben gekommen. Auch heute muss ich mich sehr beeilen, sonst wird dieser Brief wieder nicht fertig.
Wir sind nie länger als höchstens drei Tage an einem Platz, dazwischen liegen zwei bis drei Tage lange Märsche, die einen infolge der oft sehr schlechten Wege sehr hernehmen. Auf einem dieser Märsche erreichte mich ganz unverhofft Dein liebes Schreiben v. 3. Sept. am 17. ds. Kannst Du ermessen wie mir zu Mute war nach so langer Zeit endlich ein Lebenszeichen von Euch zu erhalten? Ich fühle mich in eine ganz andere Welt versetzt; auf diesen Marsch über 35 km (am nächsten Tage waren es wieder 30) hatte ich so recht Gelegenheit meine Gedanken mit Euch zu beschäftigen, all unser gemeinsames Leben liess ich an mir vorüberziehen und noch nie ist mir eine derart lange Strecke so kurz vorgekommen.
(Nach einer Unterbrechung von 4 Stunden kann ich wieder weiter schreiben). Pupseli, was sind das für Zeiten geworden! Ich bin glücklich Euch auf dem Semmering zu wissen. Schreibe an Bram, dass er sich eventuell um Euch kümmert. Nach den jüngsten Ereignissen bin ich natürlich in noch grösserer Sorge um Dich, die Kinder und meine Leute.
Wie wird es wohl in Wien nach all den Angriffen aussehen? Auch das Geschäft wird wohl bald den letzten Schnaufer machen werden, denn die Fabrik von Prochaska in Deta hat auch schon der Ivan übernommen. Es kommt alles so wie ich mir vorgestellt habe. Ich treibe mich an allen Küsten Lettlands herum, im Augenblick bin ich im nördlichsten Zipfel davon. Das Wetter hat es bis jetzt gut mit uns gemeint, ab heute ist es allerdings frisch geworden und es wird bei Dir dort oben auch bereits recht kalt geworden sein. Hoffentlich kannst Du dort gut heizen, dann ist es doch noch etwas gemütlich. Wenn auch im Augenblick alles recht dunkel aussieht, will und kann ich die Hoffnung nicht aufgeben, Euch - die Ihr mein Lebensinhalt seid, noch einmal gesund in meine Arme schliessen zu dürfen. Heute sind es gerade acht Monate her, dass ich Euch verlassen musste, nach dem allzu kurzen Urlaub. Diesen Brief gebe ich zwei Leuten von mir mit, die nach Salzburg bzw. Hainburg a.d. Donau versetzt wurden. In den nächsten Tagen will ich Dir ein paar Fischkonserven schicken; eine kleine Zubesserung zu der sicher nicht sehr üppigen Kost da oben.
Ich hatte bzw. habe noch mit einer Zahneiterung zu tun. Es war ein plombierter Augenzahn, der auf der Durchreise durch Windau rasch geöffnet werden musste; ich dachte dabei aus der Haut fahren zu müssen. In Windau sah ich grosse Schiffe und jedem von uns kam der Gedanke bei dem Anblick - wenn wir doch damit in die Heimat fahren könnten! Nicht zum Ausdenken, wie schön.
Von der Luzie erhielt ich auch einen Brief nach dem Besuch bei Dir, das Schreiben war v. 5. September.
Lievertje ich muss enden, die Leute stehen schon zur Abreise bereit; dieses Schreiben wirst Du verhältnismassig bald in Händen haben. - Bleibt mir nur gesund Ihr meine Abgötter, nach denen ich mich voll schmerzhafter Sehnsucht verzehre. Hoffentlich hast Du in Deinem Zustand nicht gar so viel zu leiden.
Ich küsse Euch innigst u. viel u. bleib'
Dein Dich ja so viel liebenden
Edgar.
FP Nº 30188 A - März 1945 Der letzte in Wien empfangene Brief
22.3.45
Mein Lievertje!
Wieder ein Tag 'rum und wiederum keine Post. Wenn ich nur wüßte, ob Du meine Briefe erhältst. Ich hoffe so auf eine Nachricht, daß es doch gelungen ist, Dich mit den Kindern in Enzersdorf unter zu bringen, dabei weiß ich gar nicht ob das wirklich außer der Gefahrenzone liegt. Das beste wäre Du könntest auf die Alm von der Bäuerin in Strobl!
Ich träume jetzt so oft von Euch, kein Wunder, da sich doch meine Gedanken den ganzen Tag über mit Euch beschäftigen. Heute war der erste Tag der etwas frühlingshaftes an sich hatte; ich bin ganz krank davon. Die Sehnsucht steigert sich, wenn überhaupt noch möglich ist, - oder ist es direkt krankhaft. Von gestern auf heute konnte ich bis 3h früh nicht einschlafen, (woran auch zum Teil Wanzen daran schuld waren) zum größten Teil aber eine peinliche Nervosität. Es quälen mich die übelsten Vorstellungen, was alles bei Euch geschehen sein könnte!
Bleibt mir gesund, Ihr mein Alles!
Viel u. innigst küßt Dich, Du meine geliebte Frau und meine Goldspätzlein
Dein Dich viel liebender
Edgar
Hauptmann Edgar Bothe war Angehöriger des Infanterie-Sicherungs-Regiments 113. Am 9. Mai 1945 nahm er sich nördlich von Tukums das Leben.
|