Die mit (*) versehenen und kursiv gedruckten Textstellen sind nicht Bestandteil der Feldpostbriefe, sondern spätere Anmerkungen des Autors.
Seit Sonntag bin ich in Döberitz und warte hier auf meine Abstellung, die sich aber noch einige Wochen hinausschieben kann.
In den letzten Tagen war ich zu verschiedenen Dingen eingeteilt. Einmal musste ich eine Fernsprechleitung bauen und ein anderes Mal eine Telefonleitung abbauen.
Meine Deutschlandreise ist zu Ende. Wir liegen an Bord eines Frachters im Hafen von Danzig und warten auf die Abfahrt, die wahrscheinlich morgen erfolgen wird. Voll mit guten Sachen für die Front in Kurland ist unser Dampfer beladen. Große Mengen von Zigaretten, Schnaps, Likör und Schokolade sollen mit uns die Reise über die Ostsee antreten. Wenn der Russe mit seinen U-Booten und Torpedofliegern uns in Ruhe lässt, werden diese Erzeugnisse aus der Heimat den Kämpfern in Kurland viel Freude bereiten.
Seit meiner Rückkehr nach Kurland hat sich bei uns manches ereignet. Die erste Zeit bis kurz vor Weihnachten verlief ruhig; man hatte durchaus nicht das Gefühl, an der Front im hartumkämpften Kurland zu sein. Doch am 21. Dezember morgens, pünktlich um 8 Uhr, begann der Russe mit mörderischem Trommelfeuer, das noch vom Krachen unzähliger Bomben begleitet war. Das war für uns das Zeichen dafür, dass der Iwan wieder anrollt, stürmt und sich wie immer blutige Köpfe holt. Aus dem Bunker konnten wir uns überhaupt nicht trauen, ohne uns mit der Wahrscheinlichkeit des Heimatschusses oder noch mehr vertraut machen zu müssen. An den Feiertagen verhielt sich der Russe verhältnismäßig ruhig. Es war eine Weihnacht, wie ich sie so schön noch nicht erlebt habe, eine echte Frontweihnacht! Den Gaben des Weihnachtsmannes nach zu urteilen mussten wir uns recht gut betragen haben und sehr artig gewesen sein. Silvester kam ich nach vorn zum Regiment. Hier erlebte ich schöne Tage. Ein Stellungswechsel führte uns bald in einen herrlichen Wald, unmittelbar hinter der Front. Die Truppe, die wir dort ablösten, hatte ganz fantastische Bunker angelegt, in die wir jetzt eingezogen sind. Durch das kleine Bunkerfensterchen hat man eine herrliche Aussicht auf den dichten Nadelwald, der aber leider gestern sein weißes Festkleid abgelegt hat. Unser Bunker ist sehr solide gebaut, die dicken Baumstämme über unseren Häuptern werden so leicht nicht zulassen, dass wir mit den feindlichen Granaten Bekanntschaft schließen müssen. Im Gefühl dieser Sicherheit verbringen wir hier eine Zeit, an die ich noch lange zurückdenken werde. "Beginn der Gefangenschaft in Kurland" |
Hauptmann Erich Neuß (24. Inf.-Div.): Feldpostbriefesammlung 06.07.1944 - 23.03.1945 |