Diese Berichte wurden von Wilfried Ohrts, kurz nach seiner Entlassung aus Russischer Kriegsgefangenschaft aufgeschrieben. In der Art und Weise der Wortwahl erkennt man noch die alte Schule der Wehrmachtspropaganda, welcher er 5 Jahre gedient hat.
8. Mai Gefangennahme durch die Russen. Nach Osten
Das, worauf wir lange gehofft hatten, war eingetreten. Der Krieg war zu Ende. Aber was war das für ein Ende? Unsere Heimat zerstört und von den Feinden besetzt. Wir hier in Kurland hatten keine Möglichkeit irgendwohin auszuweichen oder die Heimat zu erreichen. Uns blieb nur die Gefangenschaft. Nun begann die größte Tragödie des 20. Jahrhunderts. Noch große Worte aus der Vergangenheit in der Erinnerung, und die Heimat und die Lieben im Herzen, das war alles was wir noch besaßen, sonst war alles in uns zerstört. Suchkarte des DRK Suchdienstes
Juli - September Wolchow Moorlager ( Todeslager Tskegrajewo ??? ) Am Wolchow
Der Wolchow ist eines der größten Moorgebiete Russlands und erstreckt sich rings um Leningrad. Jeder Landser der bei der Einkesselung Leningrads dabei war, wird sich dieser Mondlandschaft mit Grauen erinnern. Wir kamen als Kriegsgefangene in dieses Gebiet zum Torf stechen. Es waren hier 4000 Kriegsgefangene unter den denkbar schlechtesten Bedingungen untergebracht. Hier gab es keine Unterkünfte. Zwei alte Baracken aus der Kriegszeit dienten nur der Lagerverwaltung und dem Revier, alle anderen hausten in Zelten. Und dann die ewige Nässe, die bis in die Zelte drang. Die Krankenziffer stieg von Tag zu Tag. Die Verpflegung war derart primitiv, dass schon nach kurzer Zeit viele Kameraden vor Entkräftung und an Unterkühlung starben. Dieses war der Anfang der Gefangenschaft, wie sollte es erst werden, wenn wir hier erst Jahre bleiben mussten? Aber dieses war ja alles vorgesehen von der russischen Führung, man wollte die Deutschen vernichten und das hat man hier am Wolchow restlos geschafft. Dieses Lager hatte einen Menschenverlust von mindestens 60%. Hier lag nicht nur die Schuld bei den Russen alleine, nein auch die deutsche Lagerführung hatte zum großen Teil dazu beigetragen. Erst im Dezember 1947 wurde dieses Todeslager aufgelöst. Die Überlebenden wurden auf die Lager der Stadt Leningrad verteilt, so erfuhren wir, die als Kranke schon im Herbst 1945 nach Leningrad gekommen waren, noch manches Schicksal von verstorbenen oder auf der Flucht umgekommenen Kameraden. Hier ruhen sie nun am Wolchow, die toten Kameraden, kein Kreuz oder Gedenkstein hat man ihnen gesetzt. Längst ist dort alles überwachsen von krüppeligen Birken, Disteln und Brenneseln, die kaum einer Blume Raum lassen zum Wachsen. Hier wird kein Vogel singen nur der immer kühle Wind und im Winter die eisige Kälte streicht über dieses Gebiet. Ab und zu hört man das Rufen der Wildgänse die nach Westen ziehen und dieses Gebiet meiden, als wüssten sie was hier für Unrecht geschah. Eine Typische Straße am Wolchow Ein Zeitungsartikel aus der Zeit nach 1945, in dem das Ausbleiben der Kriegsgefangenen Post erklärt wird.
September - Dezember Kriegsgefangenen-Lazarett Leningrad.
Dezember 1945 bis April 1947 Kriegsgefangenenlager Leningrad Weihnachten 1945 im Lager 339/8 Peterhof-Kolpino
Über ein halbes Jahr hatten wir nun in der Gefangenschaft hinter uns gebracht. Bei vielen waren es schon Jahre und was hatten wir schon alles erlebt an Not und Elend. Nun stand Weihnachten vor der Tür, eines der schönsten Feste, das wir Deutschen kennen. Der Winter war schon früh über uns hereingebrochen, seit Ende September hatten wir Schnee und nun hatten wir die richtige Kälte: - 30° C unter Null. Aber immer wurde noch gearbeitet. Was hatte man uns alles versprochen an besserer Kleidung, Verpflegung und Unterkunft. Gehalten wurde nichts. Und jetzt sollte Weihnachten sein. Wir lagen in großen Fabrikhallen zu 400 bis 500 Mann. Die Fenster waren teilweise mit Brettern vernagelt und mit Lumpen verstopft gegen Kälte und Schnee. Die Wasserleitungen waren seit Tagen zugefroren, gewaschen wurde sich im Schnee und das Ungeziefer fühlte sich wohl bei uns. Es sollte noch Monate dauern ehe diese Zustände besser wurden. Heute war nun Heiligabend, wir kamen von der Arbeit und freuten uns auf das bisschen Brot und die Warme Suppe. Aber es kam anders. Am Tor zum Lager wurden wir erst mal gefilzt, viele hatten sich Tannenzweige mitgebracht oder auch ein kleines Bäumchen. Diese Sachen wurden uns weggenommen. Weihnachten für uns deutsche Kriegsgefangene war von Moskau aus verboten worden, es durfte nichts gemacht werden. Zu dieser Botschaft kam dann noch eine. Für drei Tage gab es kein Brot, nur dreimal Suppe. Diese Suppe bestand aus erfrorenen und verfaulten Kartoffeln mit etwas Kleie. Diesen Fraß hatten wir schon seit Wochen. Wie viele waren erkrankt und wie viele an Entkräftung gestorben. Was war hier noch von Menschlichkeit geblieben. Es gab internationale Gesetze für Kriegsgefangene, aber für Russland hatten diese Bestimmungen keine Gültigkeit. Wir hatten die Hoffnung aufgegeben, wer sollte uns auch helfen. Unsere Gedanken gingen in die Heimat, wie mochte es dort, heute am Heiligen Abend, sein? Die Not mochte auch dort groß sein, aber sie waren freie Menschen. Und wir lagen hier auf unseren Pritschen, hungernd und frierend allein. Es war finstere Nacht, das Licht hatten die Russen abgeschaltet. An einigen Stellen in der Halle sah man zwischen den Betten Talglichter ( aus Fett und Talg selbst hergestellte Kerzen) brennen und davor hockten ein paar müde Menschen. Sie hingen ihren Gedanken nach. Die Jugendzeit zog vorüber ohne Zwischenfälle, da hatten wir Kinder noch keine Sorgen, wir waren ja von den Eltern gehütet worden. Was waren das für glückliche Jahre gewesen. Jetzt hatten wir den Krieg erlebt mit all seinen Schrecken und seiner Not. Der Krieg war vorbei und sollte Frieden sein unter den Menschen, aber wo war der Friede auf Erden? Wilfrieds erste Karte aus der Gefangenschaft
Peterhof ist ein Vorort von Leningrad in dem die alten Zarenpaläste stehen. Bei der Blockade der Stadt durch deutsche Truppen stark zerstört, wurde es dann durch deutsche Kriegsgefangene wieder aufgebaut.
Flucht nach Westen
Ich erzähle hier die Geschichte von Uffz. Ackermann aus Bremen. Ackermann war Ende 1945 zu uns ins Lager gekommen. Als Norddeutsche hatten wir uns angefreundet. So erfuhr ich seine bisherigen Erlebnisse während des Krieges und aus der Gefangenschaft. Uffz. Ackermann war nicht das erste Mal in russischer Gefangenschaft. Als Angehöriger einer norddeutschen Infanterie-Division war er im Januar 1943 in Stalingrad in Gefangenschaft geraten. Unser Ackermann wollte nicht in die Sklaverei, denn Not, Elend und den Tod vieler Kameraden hatte er in den Wochen der Einkesselung von Stalingrad erlebt. So setzte er sich eines Abends, bei einer Rastpause der Gefangenen in der Steppe, nach Westen ab. Es war Winter und eisige Kälte, für ihn gab es nur das eine, entweder Tod oder die Freiheit. Nach mühevollen Märschen, Hunger und Erfrierungen an Händen und Füßen, erreichte er nach vier Wochen die deutschen Linien. Der Krieg war für Uffz. Ackermann für längere Zeit in weite Ferne gerückt. Aber eines Tages holte man ihn wieder. Die Invasion hatte im Westen begonnen und so landete Uffz. Ackermann im Westen, machte die ganzen Kämpfe bis zum bitteren Ende mit und landete zu guter letzt in Amerikanischer Gefangenschaft. Trotz aller völkerrechtlichen Bestimmungen, lieferte der Amerikaner 50.000 deutsche Gefangene an die Russen aus, und so war Uffz. Ackermann hier bei uns im Bezirk Leningrad gelandet. Dieses Lager war ein NKWD-Lager und man hatte Uffz. Ackermann aus gutem Grund hierher gebracht, weil er schon zwei Fluchtversuche hinter sich hatte. Er war einmal bis Königsberg gekommen und das zweite mal bis Frankfurt / Oder. Hier war er durch deutsche Antifaschisten wieder an die Russen ausgeliefert worden. Trotz Schläge und Hunger, die hatte er durchmachen müssen, versicherte er mir, er würde es wieder wagen - und er hat es gewagt. Lager 7746 Straflager Siastroi, Oblasst Leningrad
Im Lager 7746 ist Wilfried bis März 1948 geblieben, dann wurde er in das berüchtigte Lager 7213/3, ins Papierkombinat Potporoschje-Sagubil am Eismeerkanal verlegt. Lager 7213/3 Papierkombinat Kolpino-Potporoschje-Sagubil-Swirstroj
Petrow, ein Russe
Wir lernten Petrow im Papierkombinat kennen. Unsere Brigade arbeitete am Fluss beim Bergen der Flösse, die da den Sommer über sehr zahlreich ankamen und dort arbeitete auch Petrow mit anderen Russen zusammen. Es waren größtenteils Zwangsarbeiter. Petrow war der einzige, der Deutsch sprach. Wir kamen oft zusammen, wir, um Russisch zu lernen, er, um seine Deutschkenntnisse zu verbessern. So erfuhren wir auch von seinem Schicksal. Er war im Kaukasus beheimatet, unweit des Elbrus, in Kisslowobz wohnte seine Familie. Er war mit einer Ukrainerin verheiratet und hatte drei Kinder. Nach dem 1. Weltkrieg und den Wirren der Revolution war Petrow als junger Industriearbeiter in den Kaukasus gekommen. Er hatte dort eine neue und schöne Heimat gefunden. Dann kam der 2. Weltkrieg, seine Heimat wurde von den deutschen Truppen besetzt und Petrow kam nach Deutschland als Ostarbeiter. Nach der Kapitulation kam Petrow nach Russland zurück, aber nicht in seine Heimat, sondern vor ein Gericht. Petrow wurde wegen Zusammenarbeit mit den Deutschen zu fünf Jahren Zwangsarbeit verurteilt. In diesem Strafgebiet musste er seine fünf Jahre verbüßen. Sechs Jahre hatte er seine Familie nicht gesehen und verbrochen hatte er auch nichts, nur gearbeitet. Wir fühlten mit ihm, denn uns ging es ja nicht viel anders. Petrow war eine Seele von Mensch, immer wieder kam er zu uns, wir waren seine Freunde, wie er uns versicherte. Er hatte es in Deutschland gut gehabt und oftmals gab er uns eine Zigarette oder ein Stück Brot. Denn auch Petrow fühlte mit unserem schweren Schicksal. Als wir ihm dann erzählten, dass auch wir seine Heimat kannten, denn wir hatten dort als Soldaten gelegen. Da kam er noch öfter wenn wir Mittag hatten und wir mussten ihm erzählen. Es kam keine Post mehr, also wurde das SRK eingeschaltet Aufnahmen aus einem Gefangenenlager im Oblasst Leningrad
April bis Juni 1949 Eismeer Kanal ( Lager 7703 Kolpino Swirstroj, schon im März )
22.Juli 1949 Entlassung in Leningrad Heimkehr
Lang war die Zeit, groß war die Not und die Heimat war weit. Das Telegramm, das seine Ankunft in Hamburg ankündigt
31. Juli 1949 Entlassung aus der Gefangenschaft in Friedland/Göttingen. Heimkehrer-Denkmal in Friedland
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Erlebnisbericht 1: "Gegenstoß in Kurland" |
Erlebnisbericht 2: "16. Februar 1945" |
Erlebnisbericht 3: "Kartoffelbunker" |
Erlebnisbericht 4: "Panzerdurchbruch" |
Erlebnisbericht 5: "Mein letzter Einsatz in Kurland" |
Erlebnisbericht 6: "Erlebnisse eines estnischen Luftwaffenhelfers" |
Erlebnisbericht 7: "Als Luftwaffenhelfer im Kurland-Kessel" |
Erlebnisbericht 8: "Beginn der Gefangenschaft in Kurland" |
Erlebnisbericht 9: "Persönliche Erinnerungen von Friedrich Horstmann" |
Erlebnisbericht 10: "Zug- und Kompanieführer im Kurland-Kessel" |
Erlebnisbericht 11: "Militärische Stationen von Günter Schlagmann - 126. Inf.- Div." |
Erlebnisbericht 12: "Gefangenschaft im Schoß von Väterchen Russland" |
Erlebnisbericht 13: "Stafversetzung nach Kurland" |
Erlebnisbericht 14: "Einsatz in der Nahkampfdiele" |
Erlebnisbericht 15: "Harald Kägebein schreibt über seinen vermissten Onkel" |
Erlebnisbericht 16: "Wilhelm Hopp beschreibt die ersten Tage in Gefangenschaft" |
Erlebnisbericht 17: "In russischer Kriegsgefangenschaft, von Otto Solbach" |
Erlebnisbericht 18: "Alfons Wohlgemuth über einen Gegenstoß bei Preekuln" |
Erlebnisbericht 19: Dokumente des Obergefreiten Anton Seitz |
Erlebnisbericht 20: "Erlebnisse, die man nie vergisst - Rudi Richter" |