Wilhelm Hopp, (aus Ostpreußen) - geb.23.12.1912, gest. 10.10.1996
Nachdem am 9.5.45 auch für uns in Kurland die Kampfhandlungen eingestellt waren, überließ sich jeder, innerlich bis ins Mark aufgewühlt, seinem Schicksal. Von Auflösungserscheinungen, so wie wir sie von unseren Vätern und den älteren Kameraden unter uns beim Waffenstillstand 1918 geschildert erhielten, konnte bei der Heeresgruppe "Kurland" keine Rede sein.
Die Frage, was nun wohl käme, konnte von niemandem richtig beantwortet werden.
Wir waren über die Ereignisse der letzten Wochen auch nur durch Armeebefehle und über den Soldatensender "Ursula" in Gredingen unterrichtet.
Von der Kapitulation erfuhr ich erstmalig am 07.05.1945 und zwar durch unser Empfangsgerät. Es war der Sender Görlitz. Der Wortlaut der Sendung war: Hier grüßt der Sender des Hauptquartiers Generalfeldmarschall Schörner: "Der feindhörige Sender Flensburg gab bekannt, dass das Oberkommando der Wehrmacht dem Feind die Kapitulation angeboten hat, das ist nicht wahr!"
Trotzdem ich mich den ganzen Krieg hindurch gegen Parolen und Gerüchte gewappnet hatte, kam mir diese Parole irgendwie glaubwürdig vor.
Ich behielt diese Neuigkeit auch für mich, bis dann einige Stunden später ein Flakwerfer in meinen Bunker kam und davon zu fragen begann.
Ich habe selten einen deutschen Soldaten so bewegt gesehen wie diesen. Auch für mich ist an diesem Tage eine Welt zusammengebrochen - ich weiß heute noch nicht, was mir schmerzlicher war, die Tatsache, dass meine Heimatstadt Königsberg bereits seit
an vom Bolschewismus beherrscht wurde oder die, dass nun vermutlich keine Aussicht bestand, sie wieder zu befreien.
Unsere Niederlage wurde uns allen von Stunde zu Stunde klarer. Besonders als dann durch den Feldempfänger vom Stab auch uns die Kapitulation bekannt gegeben wurde. Da sich seit langer Zeit auch bei meiner Einheit Russen befanden, galt diesen meine erste Sorge! Ich ließ sie antreten und gab, zum ersten Mal russisch sprechend, ihnen das Ende der Kampfhandlungen bekannt, in dem ich mich, für ihre Treue und die Anhänglichkeit sowie ihre Bereitschaft mit uns gemeinsam eine Welt zu bauen, bedankte. Darauf umzingelten sie mich und die meisten begannen zu weinen und verfielen zur tiefen Ratlosigkeit.
Der Älteste unter den 24 Mann bat dann ums Wort. Ich besinne mich noch auf seinen Namen: Is
j
.Er bedankte sich für die gute Behandlung und sagte dann vorwurfsvoll: "Warum deutsche Soldat nicht mehr sagen "Heil Hitler", wenn in Sibirien, dann wir wieder so sagen "H. H." dann wir sein zu spät."
Das war in den Vormittagsstunden. Ich sagte darauf, dass sie entlassen sind und tun könnten, was sie wollten.
Nachdem wir uns durch Handschlag verabschiedet hatten, habe ich im Laufe des Nachmittags niemanden der Freiwilligen mehr gesehen. Sie hatten sich alle der östlichen Weite und Undurchsichtigkeit anvertraut. Hoffentlich sind alle unerkannt geblieben, glücklich wird aber niemand mehr geworden sein.
Denn was ich später noch in Russland in der Behandlung dieser Menschen mit ansehen konnte, ließ nur die Schwere des Schicksals dieser Leidgezeichneten ahnen.
Im Laufe dieses Tages kam es über uns noch zu einem Luftgefecht bei
wie so oft zuvor, jetzt aber zum letzten Mal für uns sichtbar unsere beiden Jäger Sieger blieben. Das waren für uns noch einige erhebende Minuten.
Am nächsten Tage, dem 9. Mai, kamen dann vorsichtig die ersten Rotarmisten in unser direktes Blickfeld. Nachdem sich die erste Neugierde dieser Sieger gelegt hatte, kam die unverminte Strasse entlang ein amerikanischer Kübelwagen mit 4 Insassen: Ein sowjetischer Oberst, ein Major, ein weiblicher Oberst und als Rotarmist der Kraftfahrer. Im Wagen sieht man wie ein P
eine weithin sichtbare weiße Fahne. Da in unserer Nähe ein Feldlazarett stationiert war, nahmen wir an, man wollte uns zeigen, dass wir ohne Bedenken sein durften.
Es war aber nicht so, wie sich nachher herausstellte, hatte dieses Übernahme Kdo. (Kommando) zu seinem eigenen Schutz eine weiße Flagge gehisst. Da ich zu dieser Zeit der nächste Erreichbare war, wurde dieser Stab in meinen Bunker geführt. Erste Frage durch den Oberst: "Warum haben Sie keine weiße Flagge gehisst?" "Weil wir die nicht haben", war meine Antwort.
Zweite Frage: "Warum sind die deutschen Soldaten noch bewaffnet?" "Zum eigenen Schutz", war meine Antwort.
Dritte Frage: "Vor wem wollen sie sich denn noch schützen?" Diese Frage erledigte ich durch die Bemerkung, dass uns noch niemand Schutz zugesichert hätte.
Bei diesem Frage- und Antwortspiel fungierte als Dolmetscherin der weibliche Oberst aber sehr schlecht, da sie das Deutsch nur vom Hörensagen zu kennen schien.
Während des gesamten Gesprächs bewegte der Oberst etwas im Munde. Plötzlich griff er in seine Manteltasche und holte eine Schachtel "Schoka Cola" heraus mit der Frage, ob wir noch mehr solch schöne Sachen hätten? "Ja", so sagte ich. Darauf er: "Das ist fein, das schmeckt so delikat!"
Im Laufe unserer Unterhaltung stellte ich fest, dass er beide Manteltaschen davon voll hatte und eifrig eine nach der anderen leer machte. Für mich an diesem tieftraurigen Tag eine kleine Belustigung. Ich selbst war seit dem Vortage so niedergeschlagen und appetitlos, meine Gedanken waren auch jetzt immer noch in der blutenden Heimat.
Die Frage, wo die Angehörigen sein mögen ging mir durch den Kopf. Auch dachte ich an alle meine Kameraden, ob gefallen oder noch am Leben und an das, was wir noch zu erwarten haben, so dass ich über diesen Schokolade stopfenden sowjetischen Oberst gar nicht lachen brauchte, wenngleich es mich etwas erleichtert hätte.
Der Major unter meinen "Gästen" mischte sich in die Unterhaltung und die Dolmetscherin bemühte sich Format zu zeigen. Ich selbst war damals noch nicht im Russischen so sprachgewandt, außerdem wollte ich es mir vorerst auch nicht anmerken lassen, dass ich ihre Sprache zum Teil verstand. Jedenfalls entnahm ich, dass mein zukünftiger W
. dieser Major sein würde.
Darauf ging man wieder zur St
. bat darum, nicht von der Waffe Gebrauch zu machen und fuhr in Begleitung eines LKW voll besetzt mit Rotarmisten in Richtung Kapsede - Libau. Einige Stunden später war der Major in Begleitung der Dolmetscherin und eines Oberleutnants wieder bei mir. Er wollte sich unsere Unterkünfte ansehen. Als wir dann durch die Bunker gingen und überall alles so gehandhabt wurde wie es bei uns üblich war - die Belegschaft unter Achtungserweisung vom Ältesten gemacht wurde - sagte der Major zu der Dolmetscherin: "Diese Armee hat nun den Krieg verloren, unbegreiflich!" Er war jedenfalls überrascht über die Ordnung und Sauberkeit und vor allem darüber, dass keinerlei Auflösungserscheinungen bei uns festzustellen waren. Ich muss an dieser Stelle bekennen, dass ich bei dieser Bemerkung von einem großen innerlichen Stolz beseelt war, dass das Verhalten meiner Kameraden und Untergebenen noch nach der Niederlage unserem Feind Achtung vor uns einflößte.
Inzwischen rückten unsere "Befreier" an mit den lauten Begleitumständen, die uns allen in den späteren Jahren zur Gewohnheit werden sollten.
Der Major erzählte mir, dass das sein Bataillon wäre. Aber ich bitte sie, ihre Soldaten zu w
. lassen, die Waffen zu behalten, dann werden am ehesten Dummheiten von Seiten meiner Russen vermieden. Um diesen seinen Wunsch zu bekräftigen, sagte er fast wörtlich: "Die Russen haben Angst und wenn sie sehen, dass die Deutschen noch Waffen haben, werden sie sich vernünftiger verhalten als allen meinen Befehlen gegenüber. Da sowieso keine Stimmung bei uns bestand, die Waffen wegzuwerfen, erwies sich dieser Ratschlag in den folgenden Tagen als sehr wirksam. Niemand wurde belästigt, da Tag und Nacht vor jeder unserer Bunkerunterkünfte bewaffnete deutsche Soldaten standen und damit die Ruhe aller Insassen sicherten.
Etwas anders sah es in dem erwähnten Feldlazarett aus. Das dort Dienst tuende Sanitätspersonal wurde nicht so sehr belästigt, aber die Frauen, die dort - teils Russinnen, teils Lettinnen - tätig waren. Weinend flehten sie uns um Schutz an. Was noch möglich war, wurde unternommen, um ihre Lage zu erleichtern. Den Frauen und Mädchen, die von den Russen in ihre Unterkünfte gesperrt wurden, konnten wir nicht helfen, wenn Schießereien verhindert werden sollten. Das ist ein besonders beschämendes Kapitel für unsere Sieger im 20. Jahrhundert. Besonders nachts hörten wir bis in unsere Bunker hinein die zur Unkenntlichkeit zerreißenden Hilferufe dieser gequälten Frauen.
An diesem Tage, gegen Mittag, kamen die Russen aufgeregt zusammen und dann hieß es für uns aufbrechen in eine dunkle Zukunft. Wir mussten alles stehen und liegen lassen und uns am Feldlazarett versammeln. Ein sowjetischer Oberst erklärte uns nur, dass wir in die Heimat transportiert werden.
Es stand dort ein Kommando mit MP bewaffneten Rotarmisten und los ging die Reise im Fußmarsch Richtung Libau. In Kapsede, wo sich ein deutsches Kriegslazarett befand, mussten wir von der Strasse runter auf den Hof des Lazaretts. Im Laufe des Nachmittages kamen noch einige kleinere deutsche Kolonnen. Dort wurde übernachtet und es begannen sich Parolen aller Art zu verbreiten. In diesem Kriegslazarett lagen einige hundert Verwundete Deutsche und einige Russen. Das Bild das uns die hier befindlichen Rotarmisten boten war erschaudernd.
Die weiblichen Quartierskräfte waren auch hier das erste Opfer der "Sieger" geworden.
Am 12.05.1945, nach dem Mittagessen, mussten dann wieder alle antreten. Es kam der Befehl, dass Messer, Wasser, Gabeln und Ähnliches müssten sofort abgeliefert werden. Auf unsere Frage, womit wir denn in Zukunft essen sollten, antwortete man nur: "Wo ihr hinkommt, ist alles, was ihr braucht, vorhanden." Dann wurde das Gepäck aufgenommen und die einige hundert Mann setzten sich wieder in Richtung Libau in Bewegung. Wir kamen gegen Abend in Libau an und mussten am Strande unser Domizil im Freien für die Nacht aufschlagen. Es hatte inzwischen kalter Regen eingesetzt und das beschleunigte den Aufbau unserer kleinen Zelte. Im Laufe der Nacht versuchten die Russen ihre Bereicherung an uns. Hier hat manch einer unserer Kameraden seine letzte Habe einschl. Fußbekleidung eingebüßt.
Diese Aktionen hatten zur Folge, dass trotz des langen Marsches keiner in den so notwendigen Schlaf kam. Aber auch anders herum hatten einige Russen diese Besitzgüter teuer bezahlen müssen. Als nämlich drei Russen an unser Zelt kamen und auch mir die Schuhe ausziehen wollten, setzte ich mich energisch zur Wehr, denn ich wusste, dass sie es vorerst nur an den weichsten Stellen bei uns versuchten.
Nachdem einer dieser Schurken durch einen gut gezielten Kinnhaken meiner Rechten am Boden landete, ergriffen die anderen beiden trotz MP die Flucht.
Diese Auseinandersetzung ging ziemlich laut vor sich und im Nu hatte dieses Beispiel den Abwehrwillen aller erfasst und der allgemeine Soldatenzorn ergoss sich über die plündernden Wichte. Es war allenthalben ein Wehklagen der roten Garde hörbar, denn die Landser fackelten nun nicht. Nach diesem Zwischenspiel trat Ruhe ein, unsere Besucher waren wir los und ein von See her einsetzender kalter Regen wusch alle Spuren unserer "Besucher" weg.
Der nächste Tag war kalt und regnerisch. Am Nachmittag setzten wir uns wieder in Marsch durch die trostlos erscheinende Stadt Libau. Die russische Begleitmannschaft verlangte von uns zu singen, daraus wurde nichts, weil keiner den Mund auftat.
Nach tagelangen Märschen unter sehr starker und strenger Bewachung erreichten wir dann kurz nach Pfingsten das Sammellager "Telschin" in Litauen. Wir waren nicht die ersten dort.
Nach uns kamen noch einige Marschkolonnen, so dass wir etwa 18 000 Mann dort versammelt waren. Kampiert wurde auch hier unter unseren Mannschaftszelten, von einer geringen Anzahl abgesehen, die in den hier vorhandenen Gebäuden dieser ehemaligen litauischen Tü
Schutz suchen durften. Trostlose Wochen nahmen hier ihren Anfang.
Gerüchte kursierten, die ersten Anzeichen für Schmarotzer in den eigenen Reihen wurden bemerkbar! Selbst Offiziere, vereinzelte natürlich, hielten es nicht für unter ihrer Würde, sich durch "kleine" Dienste den Bolschewiken zu nähern. Gott sei dank waren die anständigen treuen Deutschen in der Mehrzahl, so dass das eigentliche Spiel der Lumpanei hier noch nicht in Gang kam.
Vielleicht hatte der Russe auch noch kein besonderes Interesse daran, denn er hatte und hat bei allen Dingen sehr viel Zeit, es konnte ihm hier auch niemand entrinnen. Zudem waren wir alle auch noch zu gut im "Futter!" Man ließ uns somit im Allgemeinen in Ruhe und diese Ungewissheit tut dann schon bei der Waffe das ihre, um sie ruhig zu bekommen.
Nach einigen Wochen wurden eines Abends etwa 4000 Mann aus ihren Zelten geholt.
Es geht los, hierunter befand auch ich mich. Nach stundenlangem Zählen war es dann soweit, dass das Tor geöffnet wurde, aber nicht zur Freiheit!
Auf einem ehemaligen Gutshof bei Telschin war ein Unterlager eingerichtet worden. Hier wurden wir hineingetrieben und hatten wieder unsere Zelte aufzubauen.
Eingesandt von Karin Müller-Lindloff
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