Unsere MG Stellung lag auf einer kleinen Anhöhe, etwa 1km von Schrunden (Skrundi) entfernt. Im Notfall - wenn es irgendwo krachte - wurden wir angefordert und mussten Hilfestellung leisten.
So wurden wir am 07. 05. 1945 aufgefordert Stellungswechsel im Divisionsbereich vorzunehmen. Wir packten unser MG 42 mit Lafette und Munition und bezogen unsere neue Stellung in einem anderen Kompanieabschnitt, an dem kleinen Flüsschen Venta. Außer uns waren noch zwei andere Maschinengewehrgruppen unterwegs, welche die gleiche Aufgabe hatten wie wir. Wir mussten uns erst eine Stellung bauen, um das MG in Stellung zu bringen und für unseren eigenen Schutz sorgen, denn es war nichts vorbereitet. Wir bauten unser MG auf und warteten auf die Dinge die da kommen sollten. Die Nacht verging und der Morgen graute, als plötzlich überraschend von russischer Seite her ein Trommelfeuer einsetzte, das mindestens eine Stunde anhielt. Wir starrten auf die uns vorliegende Höhe, und sahen Welle auf Welle Rotarmisten den flachen Hügel herunterkommen. Das war für uns das Signal zum Eingreifen. Während die anderen beiden MGs schon ihre Schuldigkeit taten, machten wir mit unserem das Gleiche. Es war ein schlimmer Anblick. Nach einer Weile setzte das Trommelfeuer noch einmal ein, und wieder stürmten Rotarmisten in Wellen auf unsere Stellungen und wir mussten erneut dazwischen halten. Irgendwann trat zwischendurch eine Pause ein und wir merkten, dass hinter uns, an einer Waldspitze, ein robbender Soldat uns etwas zuschrie. Es war - wie ich später erfuhr - ein Melder. Wir konnten ihn nicht verstehen. Wir versuchten uns näher zu kommen und es gelang ihm uns seine Absicht zu erklären. Es sollte sofort einer zum Kompaniegefechtsstand mitkommen, zu einer wichtigen Meldung. Das Los traf mich und ich robbte zu dem Melder hinüber, der mich zu einem größeren Bunker mitnahm. Es saßen schon mehrere Leute da. Es dauerte nicht lange; ein Offizier kam herein und verkündete uns: "Ich habe Anweisung Ihnen mitzuteilen, dass Kapitulationen im Gange sind. Es soll ab sofort kein Schuss mehr abgefeuert werden, nur im äußersten Falle. Ab 14 Uhr sollen sämtliche Kampfhandlungen eingestellt werden. Weiteres bleibe abzuwarten". Er gab uns schließlich den Bescheid, dies weiter zu vermitteln, sich ruhig zu verhalten usw. und dann konnten wir gehen.
Draußen war inzwischen große Ruhe eingetreten - kein Schuss fiel mehr. Als ich zu unserer Stellung zurück kam, informierte ich meine Kameraden; die wollten es mir kaum glauben, dass der Krieg schon zu Ende sei. Aber dann vollzog sich vor unseren Augen eine Situation, die uns unglaubhaft erschien:
Russen und Deutsche standen da, wo wir noch vor kurzem hingeschossen hatten, tauschten Zigaretten gegen Tabak, begrüßten sich und vieles mehr. Jetzt bekamen auch wir Lust uns dieses aus nächster Nähe einmal anzusehen. Ich ging mit zwei Kameraden hin und wir erlebten dieses Schauspiel von nahem. Da lagen noch die toten Russen - etwa 50 an der Zahl - herum. Über manche musste man noch einen großen Schritt machen und die Fröhlichkeit unter den Russen war groß.
Ein etwas Deutsch sprechender russischer Offizier mit hohem Dienstgrad verlangte den Kommandanten unseres Abschnittes. Es gab auf unserer Seite nur einen Oberleutnant der sich ihm vorstellte. Der Russe fragte: "Wie stark ist Ihre Division?" Darauf der Oberleutnant: "Ich habe nur einen Kompanieabschnitt." Er zeigte mit dem Finger auf jedes Schützenloch und nannte die Anzahl der Männer. Der Russe kam aus dem Staunen nicht heraus. Er glaubte kaum, dass man mit so einer kleinen Anzahl von Leuten die Stellung halten und soviel Unheil anrichten kann, dass er 50 Mann einbüßen musste. Er brüstete sich, mit einer ganzen Division auf der anderen Seite zu stehen. Er blieb aber bei guter Laune, denn der Krieg war ja für Ihn zu Ende. Sogar siegreich - da spielten die Paar, die da lagen und jetzt nach und nach weggetragen wurden, keine Rolle mehr. Es gab auf unserer Seite einen einzigen Toten. Der hatte im Eifer des Gefechtes sich eine Panzerfaust beim Abschießen vor die Brust gesetzt.
Der Abend brach herein und unser Oberleutnant befahl uns, uns aus dem Niemandsland zu entfernen und in Stellung zu gehen. Die Russen hatten diesen Befehl eher befolgt als wir. Als wir uns aufmachten, waren die Russen schon längst verschwunden. Das war nun der 8. Mai. Die Nacht zum 9. war ruhig ohne einen Schuss. Einer wachte, alle anderen schliefen - es war herrlich. Spät am Morgen kam der Befehl zum Aufstehen. Angesagt war Frühstücken und Waffen reinigen. Etwa um 10 Uhr war Abmarsch ohne Schritt und mit allen Waffen. Es wurden Lieder angestimmt und mit Gesang marschierten wir an den Russen vorbei, die dabei waren Telefonleitungen für Ihre Feldtelefone zu verlegen. Wir hatten uns dieses Zusammentreffen einmal ganz anders vorgestellt.
Wir kamen auch durch eine ehemalige Stellung, die wir im Februar besetzt hielten. Eine Waldstellung wo abgeschossene T 34 herumstanden. Auch den deutschen Unteroffizier, der im Niemandsland lag und den wir nicht rausholen konnten. Jetzt zogen wir an ihm vorbei. Er war ganz schwarz im Gesicht.
Zur gleichen Zeit kamen die russischen Krieger aus einem Seitenweg heraus, die uns damals gegenüber lagen, mit all Ihren Waffen, Feldküche usw. Wir glaubten - wie sie immer näher kamen - jetzt werden sie über uns herfallen und uns verhauen. Als wir an ihnen vorbei zogen, winkten Sie mit Ihren Käppis, rissen Ihre Arme hoch, schrieen: "Woijna kaputt, Dameu", Die Freude war überall. So zogen wir bis zu einem Sammelplatz, wo ein paar Russen die Waffen entgegennahmen. Es waren schon Berge von Waffen. Da schmissen wir unsere mit dazu, auch Stahlhelme, Patronentaschen, Gasmasken, Seitengewehre usw. Damit war der Krieg in Kurland aus meiner Sicht zu Ende...
Gefreiter Friedrich Kaufmann
Damals 18 Jahre alt, 8. Kompanie Regiment 1149, 563. Volksgrenadier-Division
|