Karl Brockmann war damals Pionier der 2. Kompanie, Pionier-Bataillon 126 (126. Infanterie-Division).
Dieser Erlebnisbericht stammt aus seinem Buch: "Von Leningrad bis Kurland - Erlebnisse eines deutschen Pioniers im Nordabschnitt der Ostfront." Mit freundlicher Genehmigung des Autors.
Im Frontabschnitt südlich von Libau, den wir am 12. und 13. Oktober erreicht hatten, blieb es ruhiger als erwartet. So waren die nächsten sechs Wochen für uns relativ angenehm. Wir wurden vorwiegend zum Stellungsbau eingesetzt. Die erste und zweite Kurlandschlacht fanden weiter östlich statt. In diesen Wochen erhielten wir häufig Ersatz. Aber es kamen kaum noch ausgebildete Pioniere zu uns. Es waren Soldaten aus Einheiten, die nicht mehr benötigt wurden, von Transportkolonnen, von Luftwaffeneinheiten und sogar einige von der Organisation Todt. Diese Soldaten konnten wohl gut mit Hacke und Schaufel umgehen, für pioniertechnische Aufgaben waren sie aber nicht zu gebrauchen. Die Folge war: Die wenigen noch vorhandenen Pioniere wurden immer häufiger zu Mineneinsätzen und ähnlichen Aufgaben befohlen. Diese hatten die meisten Ausfälle und schrumpften daher weiter zusammen.
Mein Feldwebel Ludwig H. war inzwischen zum Schrecken der Kompanie geworden. Er kommandierte und schrie den ganzen Tag über. Er glaubte immer noch, er sei auf dem Kasernenplatz. Mit ihm habe ich mich oft tagelang gestritten. Die Streiterei ging so weit, dass ich ihm mehrmals von der Essensausgabe keine Verpflegung mitbrachte. Ludwig beschwerte sich dann bei unserem Chef, der aber winkte ab. Ich war die ewigen Streitereien leid und bat unseren Chef, lieber in einer anderen Gruppe Dienst zu tun und nicht als Melder bei Feldwebel H. Er aber winkte auch bei mir ab und meinte, Feldwebel H. würde sich bald wieder beruhigen. Zwei Wochen später war ich noch einmal bei unserem Oberleutnant. Wieder trug ich ihm meine Bitte vor, er gab mir zur Antwort: "Ich weiß alles, ich weiß aber auch, dass Du der Einzige bist, der mit Feldwebel H. fertig wirst. Du bleibst bei ihm, das ist ein Befehl!"
So gingen die Streitereien zwischen uns weiter bis zum 16. Januar 1945, in der Nacht, als Ludwig gefallen ist. Ich wusste immer, dass er bei allen Einsätzen stets Angst hatte. Man konnte ihm dies förmlich ansehen. Wenn die Luft voll "von Eisen" war, war Ludwig verschwunden und verkroch sich in einem Bunker. Für mich war sein Verhalten nicht immer unangenehm, da auch ich auf diese Weise oft Schutz vor den Granatüberfällen fand. Doch in vielen Fällen gab er mir Befehle, die mich verpflichteten, allein die Verbindung zu den drei Gruppen unseres Zuges aufrecht zu erhalten.
Ende November wurde die Division in den Raum südlich Rudbarzi verlegt. Hier erwartete die Heeresleitung weitere russische Angriffe. Dieser Abschnitt war eine besondere Gefahrenstelle. Die noch feuchte Witterung und die weichen Straßen hinderten den Russen aber noch mit einer neuen Offensive zu beginnen. Auch hier wurden wir zunächst zum Stellungsbau eingesetzt.
Eine vielen Landsern bekannte Stelle war die sogenannte Nahkampfdiele. Diese lag auf einer Bergkuppe. Hier hatten die Fronten nur einen abstand von ca. 60 Metern. Ein guter Handgranatenwerfer konnte die Handgranate fast in den gegnerischen Graben werfen. Die deutsche HKL lag etwas am Hinterhang und hatte daher kein gutes Schussfeld. Unser Zug erhielt den Auftrag, zwei Kampfstände um 4 - 5 Meter weiter nach vorn zu verlegen.
Unter der Aufsicht von Feldwebel H. wurden diese Arbeiten bei Dunkelheit ausgeführt. Die anfallende Erde wurde mit Eimern hinter der HKL an den Hang geschüttet. Einer der Soldaten hackte in einer Nacht auf einem Stein herum; dann stellten wir fest, dass es eine Granate, ein Blindgänger war.
Im Anschluss sollten vor einem dieser Kampfstände noch drei T-Minen mit Zugzünder und Zugdraht verlegt werden, die bei einem evtl. Angriff mit dem Zugdraht gezündet werden konnten. Acht Pioniere waren hier eingesetzt. Feldwebel H. erteilte den Befehl, dass jeweils zwei Pioniere eine T-Mine verlegen sollten. Niemand führte den Befehl aus. Einige behaupteten, sie könnten das nicht, sie wären nicht als Pioniere ausgebildet. Einer begann zu weinen und sagte, er habe vier Kinder und eine Frau zu Hause. Es war ein klarer Fall von Befehlsverweigerung.
Feldwebel H. war ein schwacher Zugführer. Durch sein sinnloses Schreien hatte er bei den Pionieren seinen Respekt verspielt. Er konnte sich auch jetzt nicht durchsetzen. Hilfe suchend blickte er zu mir herüber. Ich wusste, dass dieser Kelch nicht an mir vorüber gehen würde. Nach einer Weile sagte ich dann, dass ich es machen würde. Alle fühlten sich danach erleichtert. Es war das erste und das letzte Mal, dass ich mich in Russland zu einem Einsatz freiwillig gemeldet habe.
Mir war der genaue Befehl bekannt und ich hatte mir zuvor schon meine Gedanken über den Ablauf dieses Einsatzes gemacht. Auch hatte ich längst erkannt, dass der Iwan auf der anderen Seite etwas zu hoch schoss. Wenn Du immer flach am Boden bleibst, dachte ich, dann kann nicht viel passieren. Wahrscheinlich hatte der Iwan auch Angst und zog den Kopf ein. Wenn man das tut, schießt man zwangsläufig zu hoch. Der Iwan schoss ununterbrochen mit seiner MP Einzelfeuer. Es musste nun alles schnell gehen, denn ich konnte nicht wissen, wie lange dieser Iwan noch auf Posten stand.
Mein Koppelzeug hatte ich abgelegt, die Minen mit den Zugzündern versehen, den Zugdraht an dem Zünder befestigt, aber den Sicherungsstift noch nicht abgezogen. Den Sicherungsstift durfte ich erst abziehen, wenn die Mine verlegt war. So robbte ich los. Die Mine zog ich an der rechten Seite hinter mir her, dabei hatte ich den Zugdraht um meinen Arm geschlungen, damit ich merkte, wenn er unter Spannung kam. Schon nach wenigen Metern konnte ich das Mündungsfeuer vom Iwan genau erkennen. Ganz flach robbte ich am Boden nach vorn, den Stahlhelm genau in Richtung Iwan kroch ich weiter. Nach etwa 25 Metern lag ein Stacheldrahthindernis vor mir. Hier war eine Reihe S-Rollen verlegt. Da musste ich drunter her. Darüber steigen wäre sehr gefährlich gewesen. Die S-Rollen hatten sich schon mit dem Waldboden verfilzt. Mit den Händen hatte ich nicht genügend Kraft sie hoch zu heben, zumal mir die Spitzen des Stacheldrahtes in die Hände drangen. Ich musste zurück und mir zwei Astgabeln schneiden, die ich dann im Scheitelpunkt der S-Rollen ansetzen wollte und sie damit hoch drücken konnte.
Also robbte ich rückwärts, den Stahlhelm immer zum Iwan gerichtet, denn auf diese Entfernung schlägt eine MP-Kugel nicht durch den Stahlhelm. Als ich mir die etwa 1,50 m langen Astgabeln gesucht hatte, klappte alles sehr gut. Wie befohlen, verlegte ich die Mine feindseitig hinter einem Baum, den Sicherheitsstift zog ich dann ab. Danach konnte ich zurück robben. Aber ich musste noch zweimal nach vorn, doch diese Einsätze waren nicht mehr so kriminell, denn ich hatte nun ein System, das klappte und ich lag nicht mehr im unmittelbaren Schussfeld des Russen.
Müde und erschöpft konnte ich den Heimweg antreten. Manches Stoßgebet war in dieser Nacht zum Himmel gegangen. Von unserem Kompaniechef erhielt ich am nächsten Tag ein dickes Lob. Dafür aber konnte ich mir nichts kaufen.
Nach meinen heutigen Überlegungen war dieser Befehl nicht genügend durchdacht. Denn wenn eine T-Mine unverdeckt gezündet wird, fegt die Druckwelle im Umkreis von 8 - 10 Metern alles weg, auch die S-Rollen. Das Drahthindernis wurde so für den Iwan beseitigt und machte für ihn bei einem Angriff den Weg frei.
© Karl Brockmann
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